Über eine ungewöhnliche Begegnung im Meer

Als ich an einem wolkenlosen Samstagmorgen aus dem Haus gehen will, um eine spontane Trainingseinheit einzulegen, gelingt mir das nur gegen Widerstand. „Du wirst dir den Tod holen! Mitten im Winter im Meer schwimmen! Das ist einfach nur unvernünftig!“ Mein Freund schimpft mir noch hinterher, als ich schon die Tür hinter mir zugezogen habe. Dass es im Neoprenanzug halb so schlimm ist, glaubt er mir einfach nicht. In sechs Wochen schwimme ich meinen nächsten Wettkampf und ich kann das Hallenbad nicht mehr ertragen. Ich fühle mich jedes Mal wie ein Mensch im Aquarium.

Ich jogge ein paar Runden durch die Dünen, um mich aufzuwärmen. Dann beginne ich, am Strand entlang meine Bahnen zu ziehen. Ich liebe das Meer. Ich bin in Neuseeland aufgewachsen und kann mir bis heute nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben.

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„Mama! Mama! Guck mal! Da ist ein Mensch!!“ Mein jüngster Sohn legt einen Zahn zu. Nur ein paar Flossenstöße vor uns erkenne ich ein schmales Wesen mit hellem Kopf, das kaum kürzer ist als Junis. Als sei ihm die bedrohliche Größe des Fremdlings auch gerade klar geworden, entscheidet der Kleine sich jetzt, lieber auf mich zu warten. Gemeinsam schwimmen wir etwas näher ran. Tatsächlich – es ist ein Mensch. Erstaunlich, was für gute Augen so ein Jungtier hat!

„Nicht so hastig, du erschreckst ihn sonst noch!“, rufe ich meinem älteren Sohn nach, aber zu spät. Juli schwimmt schon direkt auf den Menschen zu. Natürlich muss er mal wieder beweisen, dass ihn rein gar nichts überraschen kann.

Dabei ist es überhaupt nicht gewöhnlich, zu dieser kalten Jahreszeit einen Zweibeiner im Wasser zu sehen. Normalerweise planschen und kreischen sie nur im Sommer in der Nähe des Strandes herum. Doch dieser Mensch scheint anders zu sein. Er bewegt sich im Wasser, als gehöre er hierher. Und er bekommt auch keine Angst, als Juli ihn mit der Nase anstupst.

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Wahnsinn. Orcas. Im ersten Augenblick hatte ich einen Anflug von Panik, als ich erst eine, dann zwei und dann drei dunkle Schatten direkt neben mir auftauchen sah. Sie sind ganz schön groß. Sogar der kleine, der die ganze Zeit nah bei seiner Mama bleibt, ist ein Stück länger als ich. Was für wunderschöne Tiere! Ich kann ihre weißen Wangen erkennen und ihre Flossenstöße im Wasser spüren. Einer stupst mich sogar mit der Nase an, als wolle er seinem kleinen Bruder etwas beweisen. Ich ziehe ruhig weiter meine Bahnen, um die Wale nicht zu vertreiben. Ich will diesen wunderbaren Zufall so lange wie möglich auskosten. Unsere Orcas in Neuseeland sind Küstenfischfresser. Säugetiere stehen nicht auf ihrem Speiseplan.

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„Der macht ja gar nichts! Der schwimmt ja nur!“, mault Junis, der gebannt verfolgt hat, wie sein Bruder einfach so auf den Menschen zugeschwommen ist. „Naja, du schwimmst ja auch nur!“, sage ich belustigt zu meinem Jüngsten. Aber Junis hat bereits das Interesse verloren. „Ich will nach Hause, ich hab Hunger.“ Ich werfe noch einen Blick zu dem Menschen, der, soweit ich das beurteilen kann, ein Weibchen ist. Unsere Anwesenheit scheint ihm zu gefallen. „Bleib mal kurz bei deinem Bruder“, sage ich zu Junis. Ich schwimme ganz nah an das Menschenweibchen heran. Sie ist nicht so blass wie die anderen ihrer Art. Ihre Haut ist schwarz, nur das Gesicht fast weiß. „Der Mensch sieht ein bisschen aus wie du!“, höre ich Juli von weitem seinen kleinen Bruder ärgern. Ich muss zugeben, dass er recht hat. Aber das sage ich meinem Jüngsten lieber nicht.

ENDE

geschrieben mit ♥ von Inga Pöting
Bildnachweis: Sanjarok / photocase.de
Video: Copyright Dylan Brayshaw, storyful.com